Wie ich meiner Mutter begegnete

„Hallo, Axel,
ich bins,
deine Mutter,
mir graut vor dir,
mein Sohn!

Hab ich dich noch nicht abgewickelt,
aber du mich
schon!

Vergessen,
ich bin im Grab
und bin ganz versessen,
dich zu sehn,
ein Stelldichein
wär schön.

Lass uns gehn
und uns unterhalten,
du siehst auch noch mal viel zu chic aus
mit deinen 67 Jahren“,
haben uns lange nicht gesehn,
will ich sie fragen:
„Wie geht es dir?“

Aber ihr versagt die Stimme,
sie ist tot
und will es nicht glauben,
wahrhaben.

„Du willst ein Felsbrocken sein?
Ich habe letztens gerufen,
du bist ein Schwein,
du hast mich vergessen,
reiner Populismus,
eine Müde als solche bin ich.“

„Sind Sie auch ohne Kraft?“

„Warum siezt du mich,
der Abstand,
mein Sohn?
Hauptsache alt und gebrechlich,
nicht wahr?

Kannst du noch lästern,
ein Gespräch mit deiner Mutter
ins Grab
hinunter.“

Und immer schlechter
die Stimmung:
„du bist nicht meine Deutsch-Lehrerin,
die mich nervte.“

„Ich weiß nicht, was los ist mit mir,
aber jetzt bin ich hier
im Grab
den Schluss-Akkord singen,
aber bald folgst du nach,
sich auf eine Melodie einschwingen,
sing mir das Lied vom Tod,
nicht vom Leben!

Das Gesetz regt dich wieder auf,
sie geben dir wohl keinen Unterricht,
die Geister?“

„Genickschuss mit Kopfschuss
habe ich geübt
durch dich
mein Leben lang.

Weißt du, du warst eine Plage
durch deine Unwissenheit,
Desinteresse und Dummheit
in Lebenslagen.

Dubiose Geschäfte
hast du gemacht
mit dir selbst,
mit deiner Seele,
und über Nacht
warst du verkauft
an dich selbst,
nicht an mich,
mein Gott!“

„Rebellisch wie du warst
seit deiner Kindheit,
störrisch und bockig.“

„Das stimmt,
Erziehung fehlt,
hier entstehen meine Gedichte
dafür.“

Ich weiß nicht, ob ich geschlafen hab,
es kam mir endlos vor die Nacht,
und ich lag wach
bis zum Morgen.

„Weißt du,
das enge Grab
ist mir zu eng,
es zwängt mich ein.

Bis zur Auferstehung
hab ich keine Zeit,
hier zu liegen
keine Lust!

Der Gedanke bleibt in der Sünde,
und ich verkünde dir:
ich will raus hier,
was immer geschieht!

Da setz‘ di‘ hin!
Ich bin sündig,
verkommen,
ich habe dich geschlagen in der Kindheit,
nettes Trinkgeld
hab ich dir gegeben,
damit du schweigst,
Schokolade,
Mami ist nett!

Windelweich geschlagen,
damit du hörst auf mein Wort,
du hast es verdrängt,
deswegen kein Ort
der Aussprache,
keine Zeit,
ich bin bereit
dafür
jetzt.

Aus dem Grab
mein Geist
fliegt zu dir,
steigt auf
und formuliert diese Worte
für dich.

Im Lichte der Wahrheit
ein hässlicher Graben
zwischen uns.“

Aus dem Grab
melden sich Stimmen,
quer denken,
nicht sexuell,
zentral
wöchentlich.

„Der König der Musiker
bist du,
es könnte alles so ruhig sein
ohne deinen Krach,
ho, ho Deutschland!

Glasnost
Corona-Krise,
der Apfel fällt nicht weit vom Stamm,
Corona-Leugner
auf dem Vormarsch.

Das haben sie nun von der offenen Gesellschaft,
wo jeder sagen kann, was er will,
die Eliten halten sich sowieso nicht daran,
feiern in ihren Clubs,
Schampus und Sex
ohne Abstand zum Nächsten,
selbst ist der Mann,
die Frau“,
meine Mutter aus dem Grab.

Die Erkenntnis bleibt aus,
das Bewusstsein trägt weiter
aus:
„Du bist nicht im karierten Modus
der Welt,
die Welt hat dich
nicht,
kein Anschluss gefunden,
ich muss mich entschuldigen,
es ist Krieg, und keiner geht hin
يوم ثاني .

Ich dachte, er drückt sich durch,
der USB-Stick,
um mich abzuspeichern,
jetzt habe ich mich daran gewöhnt,
ein Leben
ohne Sex.

Du denkst,
ich bin verhext,
du sahst mich mit wirren Haaren
in einem Traum,
mein starres Gesicht
war auf dich gerichtet
vorwurfsvoll.

Was denkst du wohl, wer du bist,
ein Mann der großen Talente?
Alles, was du bist,
bist du durch mich,
bedenke,
die Heirat war nicht geschont
mit J.

Ich liebte dich und hab sie gewonnen
für mich,
so dass du heiraten konntest,
mehr nicht.“

„Das ist gelogen,
warum lügst du noch im Grab?
Alles andere habe ich gemacht,
ich war verliebt bis über beide Ohren,
du hast davon gar nichts gewusst,
wenn wir uns heimlich trafen,
und groß der Durst
nach Sex.

Aber wir hielten uns zurück
und spielten nur,
ich fingerte an ihrer Brust
in einem Holzschuppen,
sie hatte die Schlüssel dazu
von einer Tierärztin,
für die sie arbeitete
auf Honorarbasis,
der Judas sagt dir was?

Wir waren beide Abiturienten,
ich erinnere mich genau,
sie wird später meine Frau werden
ohne dich,
wir heirateten heimlich
in Leipzig,
Stempelchen und Standesamt,
danach an die Bar und trinken,
am nächsten Tag auf den Reiterhof
in Leutzsch.

So war die Geschichte
und nicht, wie du sie erzählst,
warum entstellst du mein Leben?“,
Streit ohne Ende.

„Das Sex-Verbot
betrifft mich nicht,
ich habe mich darüber hinweg gesetzt
ohne dein Wissen,
wo war der Vater gewesen,
der es mich gelehrt?

Du zähltest nicht,
du warst nur meine Mutter,
kein Vorbild
für einen Mann,
der ich sein kann,
konnte.“

Drama,
rasches Blutgeld gegeben,
und sie ging weg,
verschwand
aus meinem Leben,
Gott sei Dank!

Ganz fett die Nummern verteilt,
eine Hand wäscht die andere,
eine Hexe kennt die andere
Hexe
in einem Land
verwunschenem.

Mit Eiern gespielt
in der Hand,
die meine waren,
Kindesmissbrauch
bekannt?

Gequält
mich,
um Macht auszuüben
sexuell
auf meinen Vater,
den ich nicht kannte,
sie trennten sich nach meiner Geburt.

Hinter mir die Türen verschlossen,
im Dunkeln geblieben allein,
„du gehörst nicht zu mir,
du bist klein,
dich kann ich aussetzen.“

Das sind jetzt so die Offenbarungen,
die ich höre,
nichts bleibt geheim,
es war eine mörderische Familie,
die das Dunkel liebte.

Wie hab ich mich verfehrt,
war eine geläufige Wendung
in ihrer Sprache
Norddeutschlands.

Sie saßen im Dunkeln tagelang
und wunderten sich, kein Licht,
wer will es anschalten,
wenn nicht wir?

Das war die Kriegsgeneration,
geboren im Krieg,
aber es fand sich keiner,
die Familie gefiel sich
im Dunkeln.

Meine Mutter nicht,
das wunderte mich,
sie war ein Einzelkind
von Anfang der 30er Jahre
lange Zeit geblieben,
da war alles noch licht
in den Köpfen.

Bei Kriegsbeginn
wurde mein Onkel geboren,
ein Taugenichts,
er ist längst verstorben,
lange vor ihr.

Der zweite Bruder
folgte im Krieg,
ein Dritter verstarb an Magenverschluss
schon als Baby,
und dann Bärbel,
ganz tragisch,
am 24. Dezember 1945 gestorben
an Diphtherie,
es war einfach kein Arzt zu kriegen,
sie erstickte
in ihrem Bett.

Und Ulli?
Der kleine Junge
in Trainingshosen,
ältere Jungen schickten ihn aufs Eis
am Ostorfer See,
ob das Eis bricht,
wer holt die Flasche,
die wir geworfen?

Der Kleine läuft los
und bricht ein,
was müssen das für Minuten gewesen sein,
sein Ertrinken?
Ich hoffe nur, Kinder sterben leicht,
weil sie die Situation nicht überblicken.

Manchmal verstehe ich
den Hang meiner Familie
zum Tod,
er fand zu häufig statt.

Doch meine Großmutter war couragiert,
eine aufgeräumte Frau
und emanzipiert,
der Mann war im Krieg,
sie allein geblieben,
sie nahm es gelassen.

Das Schicksal hin
und her,
das Leben muss weitergehen.

Bis auf die Dunkelheit in ihrem Leben,
das verfolgte sie sehr
und prägte die Familie
in den Köpfen schwer,
war nicht rauszukriegen.

Ich mache meiner Mutter keinen Vorwurf,
sie trug es in unsere Familie,
aber mein Vater, der zweite,
war ein sonniges Gemüt,
unbeschwert und heiter
und hat mich gerettet
vor der Dunkelheit
in ihrem Herzen.

Vielleicht hatte sie nur Schmerzen
und sagte es nicht,
als sie stieg ins Grab,
es gibt Menschen,
die alles unumwunden sagen,
was sie stört,
sie gehörte nicht dazu,
ihr Herz war verschlossen.

Ich höre noch tagelang ihren Gesang,
wenn sie sang zu einem Lied aus dem Radio,
in einem Jahr, dann kommst du
wieder zurück zu mir,
dann wird es wieder
so, wie es war
,
sie meinte meinen Vater,
die Trennung, die sie nicht überwand
im Herzen.

Sie tat mir manchmal so leid
wie heute wieder,
was quält sich ein Mensch im Herzeleid,
wenn es nur gibt eine Begegnung,
die nie wieder stattfand!

Ich war ihr Ersatz
ein Leben lang,
ich erinnerte sie
an ihn.

Sie war verliebt,
sie wollte ihn nur haben,
wie sie mir später sagte,
er war verheiratet gewesen,
was er verschwieg.

Die Frau drohte mit Klagen
gegen eine Ehebrecherin,
meine Mutter
in der Psychiatrie daraufhin,
sie ertrug nicht die Situation
psychisch.

Die enttäuschte Liebe
und dann noch eine Frau,
die stärker war
und aus ihrem Leben kam
verheiratet,
sie war nicht geschieden
meinetwegen,
die stärker war als sie,
die wusste, was sie wollte,
den Mann,
mit dem sie verheiratet war.

Mein Vater stahl sich davon
und ging nach Kiel,
Edmund mit Namen,
ich wusste nicht viel,
er war nur fremdgegangen.

Und auch später verriet sie nicht viel
über ihn,
meine Mutter,
Begegnungen mit ihr schürten nur das Gefühl,
dass ich überflüssig war
und störte.

Jetzt ist sie im Grab
und schreit immer noch
nach mir,
ich habe es wirklich satt,
sie zu hören,
und schließe hier.

„Warum sind deine Blumen eckig?
Leg sie nicht aufs Grab!
Kantig deine Worte,
du bist ein Störenfried!“

„Ich weiß,
die ganze Familie aufgerollt,
soll ich jetzt die Bänke saubermachen
vom Fleischgeruch?“

Gesuch
der übelsten Art,
bin ich ein weiterer Verlierer,
wenn ich störe.

Ich mach es nicht
wie vor Gericht
meiner Ahnen,
man kann es erkennen
an der Art
meiner Dichtung.

Ohne auf die Rückseite zu gucken,
etwas verschleierte Art,
rebellisch war ich schon immer
im Kinderzimmer.

Die längsten Gedichte hast du schon immer geschrieben,
nicht zum Leid, nicht zur Freude,
muss ich erst drohen
mit dem längsten Gedicht,
dem Gefecht der Endzeit?

Nachtrag

Du unterscheidest Gutes wie ich,
Hochzeit zu halten, ist nicht schwer,
ich will dich lieben
mit auf dem Klapperding,
dem Leben.

Hoffe ich mal, du kannst damit etwas anfangen,
اعجبك؟
Grenzliebig,
wenn du solche Nester pflegst
wie dein Gewissen
neugierig.

„Heb dich an zum Kuchen,
den musst du suchen
in dir,
die Rosinen hast du schon,
Backzutaten“,
so meine Mutter.

Erneut besuchen
meine Mutter
im Grab.

„Hier geblieben!
Nicht davongelaufen!
Den Hund gegessen,
den krummen Hund,
der du warst.

Dafür musst du gar nicht beten,
du kannst es,
du hast es
von dir aus,
von allein“,
da ist sie wieder, meine Mutter,
das mütterliche Etwas.

Schade für das Event,
dass du nicht dabei warst,
als sie starb.

Du bist ein Knilch,
ich weiß,
sie wollte dir etwas sagen
zum Abschied,
etwas Wichtiges,
deine Mutter.

Nun arbeitet es
in dir,
und du fragst dich, was
es war,
was so wichtig war,
dass sie es dir sagen wollte,
auf dem Totenbett
verraten,
dein Vater?

Die Karfreitagsregeln?
Die Kreuzigung?
Die Mutter am Kreuz?
Ich denke, nicht!

Die Mutter wird überleben,
du nicht,
das Geschick
dieser Welt.

Sie wird sich neu inkarnieren
und immer wieder
chic sein
für einen Mann.

Du besteigst mein Schiff,
und wir segeln in Richtung Paradies,
wir schiffen uns ein
und machen klar Schiff,
vielleicht nur Wunschgedanken?
Ich weiß nicht.

Ich hoffe es,
das Saubermachen
bietet dir eine Chance,
dorthin
zu gelangen.

Mütterliches enthält alles,
den Tod und das Paradies,
ist dir ohne Alkohol gelungen
und ohne Zigaretten
und ohne Sexualität,
deine Mentalität
live
ohne Zuckertüte.

Bist du hier in einen Wildwasserkanal geraten
in der Welt,
gegen den Strom schwimmen,
zur Belustigung deinerselbst?
Nicht?
Willst du Gefangener sein?
Krämpfe?

Just ein Feeling,
mal sehn, wie weit du kommst
ohne mich,
geboren
von einer irdischen Mutter
und Tod.

Du bist ein Mensch
klein,
kein Schinken zuoberst
wie ein Schwein.

Kein Hirn wie ein Superhirn,
du bist klein
und wirst es sein
bis in den Tod.

Das ist deine Not,
dein Versagen,
in dem du bist,
vor den Lebensfragen
und -lagen
erfasst dich wieder eine solche Geilheit.

Ich wollte leben,
und man rennt in die Falle
dagegen.

Habe noch nicht die Ehre
in Ägypten
gehabt,
der Mensch ist ein Grab.

Der sie dir schenkt,
wie du,
Sprengkraft,
und im Nu
ist er im Grab,
Schade!

Das war ausgemacht
Gottes Spur
und ein Zeichen unserer Tage,
der Terrorismus bringt uns nicht zur Vernunft
trotzdem.

يوم ثاني arabisch: ein anderer Tag
اعجبك؟ arabisch: gefiel es dir?

© Johannes Lichteruh, 2020

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